studio erde.
office for anthropocene landscapes
Der Tiergarten in Berlin kann als einer der urbansten Orte Berlins betrachtet werden.
Er steht exemplarisch für die Fähigkeiten von öffentlichen Raum, menschliche und nicht-menschliche Bedürfnisse aufzunehmen, Raum zu lassen für Zufälle und Spontanität: ein Ort, der Reibungen erzeugt und von ihnen profitiert.
Stellt er für viele einen innerstädtischen grünen Park dar, wahrgenommen als
„Kulturdenkmal, Naherholungsgebiet oder Biotop, so unterläuft der Tiergarten doch zugleich all seinen gängigen Definitionen. Der Tiergarten zeigt sich als eine Art Wimmelbild, „eine Schwarzwälder Kirschtorte mit acht Schichten“, überprägt, verändert und umgenutzt. Es bündeln sich ihn viele einzelne Erzählungen, „sämtliche Strömungen und Nuancen im Gebrauch des öffentlichen Raumes.“ (S. Jung, 2015) Einst sumpfiger Auenwald, eingezäuntes königliches Jagdgebiet, von P. J. Lenné in seiner Grundstruktur aus Lichtungen, Alleen und grünen Salons gestaltet und für die Öffentlichkeit geöffnet, fast komplett abgerodet im Zuge des 2.Weltkrieges, wurde er von da an sukzessive in seiner heutigen Struktur aus diversen und fein nuancierten Pflanzengemeinschaften, zunächst von W. Alverde angelegt, später von F. Migge und F. Witte, weiterentwickelt.
Durch seine periphere Lage direkt neben der Berliner Mauer konnte sich über
Jahrzehnte hinweg eine fast Urwald ähnliche Vegetation entwickeln, die den Grundstock und die Gestalt legte für das heutige Nebeneinander und Wechselspiel von Planung und Wildnis, vielfältigen Biotopen, Habitaten und Pflanzengemeinschaften, Inklusion und Aneignung, als Ort für die größten Massenevents Deutschlands, eines der größten innerstädtischen Vogelgebiete, Fantasien und Perversionen. Der Tiergarten macht ein System greifbar, „in dem die obdachlose Bag Lady, der Jogger, die Nudistin, der Jogger-Nudist und der Spanker ebenso einen Lebensraum finden wie Blaubussard, Nachteule, Dachs […], ebenso wie gewöhnliche und vom Aussterben bedrohte Pflanzen.“ Durch seine Unbestimmtheit stellt der Tiergarten eine Konstruktion dar, fast ohne jegliche nutzungsspezifische Flächenzuweisung. Die durch Alverde angelegten Pflanzengemeinschaften können „als Grundlage der sozialen Differenzierung im Gebrauch betrachtet werden“, welche zu einer Vielfalt der Arten, als auch der Aneignungen führen. (S. Bartoli, S. 131)
Reibung
Im Tiergarten kollidieren ästhetische und soziale Vorstellungen, Konsens und Übertritt.
Es reiben sich Planung und Wildnis, Marathon und FKK, Fussball und Sex.
Die Momente der Reibung werden als produktiv für Koexistenz betrachtet, sie stellen
das kreative Potential von Stadt dar. (vgl. Kohlhaas, 2014)
Öffentlicher Raum als Ort der Reibung, als Raum, der Überschreitungen in sich
trägt und aushält.
Das Wimmelbild des Tiergartens wird im Folgenden mithilfe der Hauptthemen des
Seminars in seiner Vielschichtigkeit und seinen Momenten der Reibung lesbar gemacht:
Körper, Fremde, Infrastruktur, Stoffwechsel, Privat/Öffentlich.
*Auszug aus Seminararbeit, Gendered Public, TU Berlin, 2016