studio erde.
office for anthropocene landscapes

STADT ALS BÜHNE
Der Entwurf stellt sowohl die innere als auch die äußere Welt des Hauses der Statistik und dem Haus des Reisens dar. Er wirkt als neuer identitätsstiftender Ort der Mitte mit einer absichtsvollen Leichtigkeit. Bei näherer Betrachtung entfalten sich bedeutende Schichten der reichhaltigen, spektakulären Geschichte des Ortes.
Die gewählten Entwurfselemente sind gleichzeitig in der Lage, für die vielfältigen Akteure und Interessengruppen für ihre eigenen Zwecke angeeignet zu werden. Sie sind Projektionsflächen der Imaginationen, Wünsche und Bedürfnisse allerlei Nutzende. Ihre primären, lustvollen Eigenschaften bieten universelle Qualitäten an, die der Mensch anspricht und aktiviert: Sonne / Schatten, intim / großzügig, hart / weich, abstrakt / konkret, ernst / absurd, sinnlich / reflektieren oder ästhetisch / seltsam. Ihre genaue Ausformulierung wird, je nach Element, von diversen Akteur:innen entwickelt und produziert werden.
FÜNF THESEN ZUR IDENTITÄT, RAUM UND OBJEKTE DER ENTFALTUNG
#1 Ein Plädoyer für eine ortsspezifische Erzählung
Der Ort besteht aus diversen sichtbaren und unsichtbaren Schichten der Geschichte. Sie prägen der Ort und schenken ihm seine Bedeutung, Dichte und Vielfalt. Das Projekt legt diese Spuren in Schichten frei und stellt sie zueinander in Beziehung. Sie sollen in der Zukunft erlebbar sein und bilden das Fundament, worauf sich der Ort der Zukunft aufbaut.
#2 Erlebbarkeit des Ortes als ein Haufen Schnittstellen
Der Ort besitzt lange, breite, tiefe räumliche und zeitliche Beziehungen zum ihn umgebenden Raum. Von dem Bau des Königstor und der ersten St. Georgenkirche im 1780, über die Stadtmauer, Tramlinien, Karl-Marx-Allee bis heute, bildet der Ort eine Schnittstelle in der Stadtkarte Berlins. Der Reiz des Ortes als Vermittler, des Wandels, der Vielfalt, wie auch als Ort mit vielfältigen Dialogen im 360° Raum soll erlebbar sein.
#3 Objekte der Bedeutung, Diversität und Gemeinschaft
Im Raum entsteht ein komplexes Gefüge aus Erzählsträngen; auf einem festen Hintergrund stehen partizipative Objekte, die Akteur:innen und Prozesse anregen. Bedeutungsträger sind 15 Entfaltungsobjekte, die sich als starke Charaktere zueinander stellen. Aus diesen Objekten sind sieben bereits am Ort präsent, fünf sind latent vorhanden und drei werden neu hinzugefügt. Sie sind mehrdeutig entworfen, um auf mehreren Ebenen wirksam zu sein, sie
werden zum Teil kooperativ entworfen, gebaut und benutzt. Dies gilt auch für die Akteure, die biodivers sind, die Objekte dienen auch der Cohabitation. Der Städtebau der DDR und das Bildprogramm bleiben präsent und werden zu einer Ebene der Narration.
#4 Katalysator der Imagination: Ort und Objekte stiften Entfaltung und Handlung
Der Raum und die Objekte dienen, in vielfältigen Wechselwirkungen, als Bühne oder Tribüne der sozialen Entfaltung. Sie sind Projektionsflächen, vielerlei interpretierbar und dienen, je nach Tag oder Anlass, unterschiedlichsten Zwecke. Die Offenheit des Raumes, Objekte, Boden und ihre räumliche Beziehung zueinander werden als Blick- und Spielraum gelesen. Die Fassaden der Hochbauten und Bilderfriese sind sprechender Hintergrund. Die unterschiedlichsten Akteur:innen sollen Teil des Raumes werden, in dem sie sowohl zuschauen, als auch agieren. Die Imagination ist niederschwellig, divers und individuell wie auch gemeinschaftlich - gleiches gilt für die Handlungen, zu denen der Ort und seine Objekte herausfordern.
#5 Alle Ressourcen vor Ort aktivieren
Die temporäre Freiraumgestaltung arbeitet mit dem und denen, die da sind. Nicht nur die Zeit- und Bedeutungsebenen werden aus dem Ort heraus gelesen, sondern auch ganz handfest werden Akteur:innen, Materialien und Elemente vor Ort aktiviert. Die Veränderung auf verschiedenen Ebenen findet vor Ort von unterschiedlichen Akteur:innen statt. Die neuen Elemente und Materialien bestehen aus nachwachsenden oder wiederverwendbaren Ressourcen. Der Bau, Instandhaltung, Benutzung und Pflege werden von mannigfaltigen Akteur:innen geleistet.



HAUPTMAßNAHMEN RAUM, CHOREOGRAFIE UND ATMOSPHÄREN
Die vier Hauptorte des Perimeter entwickeln sich zu individuellen Orten durch spezifische Objekte der Entfaltung.
1.FORUM DER ZEIT
Freiraum als demokratischer Raum / bewegte Geschichte / Miniatur-Klima-Hain / Grüner Platz / Erinnerung / Aktion / kritische Reflektion
St. Georgen Hain: Re-Interpretation der historischen Kirchen-Spur als Gartenforum und Miniatur-Klima-Hain. Er dient als Pausenplatz, Treffpunkt und Tribüne der Speakers Corner. Rauschend, flickernd, im Wind.tanzend wird Geschichte durch die Bäume beweglich gemacht.
XX: Diese Spur der Geschichte stand auf den Tunnel als des 20-jährigen Jubiläums der DDR. Der Standort soll neu mit einer zeichenhaften Skulptur inszeniert werden. Dieses Objekt wird als künstlerisches Projekt ausgelobt.
Bühne der Demokratie: Neu-Interpretation der improvisierten LKW-Bühne der DDR Oppositionellen als markante Redner-Plattform ist Spielobjekt, Kunstwerk & Denkmal
2.STADT.BÜHNE
Gesicht des Haus der Statistik wird zur Bühne der Akteur:innen / starke Objekte / Alltag und Festtag / Treffen / Inszenierung
Leuchtturm: Das Artefakt der DDR wird durch einen Anstrich verfremdet und als Energiesäule ertüchtigt. Reaktivierung und Erweiterung der Strahler für einen Kino-Abend auf der Stadtbühne und Licht-Performance.
Uhr.Bank: Die historische Bank um die Uhr als Aufenthaltsort wird neu ausformuliert und in einer Aktion gebaut. Sie lädt im Alltag zum Sitzen und Verabreden ein.
Gemeinschaftskuppe: Die gewölbte Rasenfigur inszeniert die Aussicht, lädt zur flexiblen Benutzung ein, inszeniert die Stadtkulisse und dient dem Spiel, Picknick und als Lounge.
Über.Unterführung: Ein multifunktionaler Pavillon, der als Bühne, Tribüne, Ausschank und Aussichtsplatform dient. Er ist als Gerüstkonstruktion reversibel, mit Geotextil bekleidet scheinmassiv. Er sammelt und speichert Regenwasser (12.000 Liter), produziert tagsüber Energie und leuchtet in der Nacht.
Kollektiven Hain: Baumhaine wandern aus den Wohn-Höfen die Radiale herunter und bilden intime und einladende Räume für das Treffen, Feiern oder als Klassenzimmer unter freien Himmel.
3.GRÜNES WOHNZIMMER
Nachbarschaft / Radiale / Straße als Ort / Bestehendes verfeinern / kleine Haine / Alltag
Polierte Radiale: Der bedeutende Standort mit radialen Strassen steht für die lesbare Stadt. Die typischen Waschbeton- und andere Platten werden in situ poliert, um die Radiale subtil wahrnehmbar zu machen.
Imbiss Oase: Der Imbiss ist und bleibt ein integrierter Teil des Quartieres und entwickelt sich zum Treffpunkt für Pioniere, bestehende und neue Anwohner:innen und Passant:innen.
Radiale Haine: kleine Haine gliedern den Freiraum und bieten Schatten und Aufenthalt.
Möbel der Statistik: neuen Sitzmöbel werden - angelehnt an die Stahlstühle des Alexanderplatzes -aus assemblierten Metall der geretteten Fassadenskulptur entworfen. Sie wandern flexibel über die Plätze und laden zum Bespielen ein.
4.OTTO BRAUN BANDE
Passage des Spiels / Farbe / Rhythmus / Habitat-Mosaik / aus Streifen wird Feld / Schauraum der Pionier:innen
Der Straßenraum wird durch ein 260 m langes Bodengemälde der Stadtgesellschaft geschenkt. Schaufenster der Pionier:innen und Künstler:innen zeigen eine wandelnde Ausstellung der Akteur:innen des Ortes. Gleichzeitig ist es ein feiner ökologischer Korridor mit Habitat-Mosaiken entlang der Bestandsbäume. Die gemalten Streifen verweisen in die Tiefe des Trottoirs nach dem Abbau des Bauzaunes. Die Vitrinen aus den assemblierten Gerüststrukturen referenzieren die DDR-Mauer-Wände, sie sind umsetzbar und erweitern die Bande zum Feld.





PROZESSKURATIERUNG: STUFEN
Die temporäre Freiraumgestaltung wird in drei Prozessstufen entwickelt und installiert.
1. Markieren:
Das Markieren dient der initialen Besetzung des Raumes und deckt verdeckte Spuren auf - es lädt außerdem zum Beispielen und Nutzen ein. Markieren ist Intervention und findet ab Sommer 2023 statt. Der Freiraum eV. wird feierlich gegründet.
2. Bauliche Entfaltung:
Die großen Objekte werden nach Planungs- und Genehmigungszeit errichtet und besetzen den Raum. Sie stellen eine räumliche und programmatische Erweiterung her.
3. Objekte und Dynamiken:
Die vorhandenen Objekte werden benutzt, bewegt, verändert und ergänzt. Es finden gemeinschaftliche Aktionen statt, die den Raum weiter aufladen, neue Objekte hinzufügen. Der gesamte Raum ist dynamisiert und wird von den Akteur:innen eingenommen.
BETREIBER-SYSTEM
Die temporäre Freiraumgestaltung arbeitet mit dem und denen, die da sind: Akteur:innen, Materialien und Elemente werden vor Ort aktiviert. Die Veränderung in den verschiedenen Ebenen finden vor Ort von unterschiedlichen Akteur:innen statt. Der Bau, Instandhaltung, Benutzung und Pflege werden von mannigfaltigen Akteur:innen geleistet. Der Initialschritt des Betreiber-Systems ist die Gründung eines Freiraum eV im Sommer 2023 und die Verknüpfung
mit der Organisationsstruktur des Hauses der Statistik.